Brennpunkt: Fachkräftemangel - oder ein Mangel an Selbstermächtigung?

Brennpunkt: Fachkräftemangel - oder ein Mangel an Selbstermächtigung?

Thorsten Moortz
28. März 2022

Der heutige Handwerk-Impulse Podcast ist eine Live-Aufzeichnung unseres vierteljährlichen Craft Camp Stammtischs. Thorsten und Achim (memomeister.de) nehmen gemeinsam einen ebenso verbreitetes wie gefürchtetes Thema der Handwerksbranche kritisch unter die Lupe - nämlich den Fachkräftemangel. Dazu habe ich eine Zusammenfassung und Ergänzung geschrieben - aus der sicherlich auch mal ein Buch werden könnte. 

Freut euch auf ein paar wertvolle Impulse, Tipps & Lösungsvorschläge zu dieser brisanten Thematik.

Bist Du erpressbar?

Eine essentielle Fähigkeit, die uns das Leben lehrt ist, die Dinge kritisch zu hinterfragen.

Deshalb soll heute mal die Frage erlaubt sein: Stimmt das wirklich, was wir über den Fachkräftemangel täglich sagen? Stimmt es wirklich, dass der Fachkräftemangel das größte Problem als Unternehmer ist? Ist es das größtes Problem, dass wir derzeit zu bekämpfen haben?

Auf jeden Fall ergibt sich für viele Arbeitgeber heutzutage aus dem scheinbaren Mangel, an guten Mitarbeitern eine Problematik: Das Gefühl der Erpressbarkeit.

Wenn ein Mitarbeiter für Dich unentbehrlich ist und er das auch noch weiß, sitzt er am längeren Hebel - und Du als Unternehmer am kürzeren - fatal. Wir sprechen hier natürlich nicht von allen Mitarbeitern, sondern ganz konkret von den “faulen Äpfeln in der Obstschale”.

Wichtig zu unterscheiden: Es gibt die Mitarbeiter, die unter Umständen nicht viel Leistung abliefern, da Ihre Fähigkeiten oder Kapazitäten überstrapaziert werden. Das lässt sich durch eine gute Prozessorganisation vielleicht lösen.

Dann gibt es aber die anderen, die durch fachliches Know-how oder langjährige Mitarbeit sehr wertvoll sind - aber einfach keinen Bock (mehr) haben.

Sie sind unmotiviert und oft unfreundlich gegenüber dem Team, dem Chef und sogar den Kunden. Ihr negativer Einfluss breitet sich, wie Fäule, langsam aber sicher auf die gesamte Obstschale, auf das gesamte Team aus - auf die komplette Stimmung und Arbeitsmoral.

Doch wie werde ich als Unternehmer überhaupt derart angreifbar,
derartig erpressbar?

Oft liegt es an Problemen bei der Durchsetzung gegenüber diesen Mitarbeitern. Und wenn dieser Punkt nicht gegeben ist, wird die notwendige Konfrontation auch oft gemieden.

Das schlimmste daran ist, dass diese schädlichen Mitarbeiter - obwohl sie sich beispielsweise nicht an Arbeitsanweisungen halten - mit ihrem Verhalten auch noch durchkommen. Das demotiviert den Rest des Teams auf Dauer natürlich ungemein.

Das geht oft so weit, dass motivierte Mitarbeiter die auch Lust hätten zum Beispiel den digitalen Fortschritt im Unternehmen voranzubringen, sich schon fast in Rechtfertigungsnot gegenüber den Meckerern und Digital-Verweigerern sehen. Im Schlimmsten Fall gehen die Guten und die “faulen Äpfel” bleiben.

Hier liegt also unsere unternehmerische Herausforderung, diese giftige Wechselwirkung in den Griff zu bekommen.

Die wertvollsten Tipps im Umgang mit dem Fachkräftemangel

Regel Nr. 1: Nicht jammern! 

Es bringt nichts, im Gegenteil - je mehr Du deine Verzweiflung nach außen zeigst, desto angreifbarer machst du Dich.

Stattdessen: Ändere Deine Einstellung zu dem Thema! Natürlich suchst Du, als skalierender Unternehmer mit Weitsicht, laufend nach neuen Arbeitskräften - nur so kann sich Dein Unternehmen weiterentwickeln! Kommuniziere das auch so.

Nimm den Fokus weg vom Fachkräftemangel, Du kannst ihn nämlich nicht ändern.

Was Du aber ändern kannst, ist Deine Einstellung (oder wie wir Berater gerne sagen: Mindset) und Deine Handlungen als Unternehmer. Deshalb...

Regel Nr. 2: Beeinflusse, was Du beeinflussen kannst

Kommen wir zum nächsten wichtigen Aspekt der Unternehmensführung: dem sogenannten "Circle of Influence" oder auch "Circle of Control". Das ist eine lang bekannte Strategie. Es geht dabei um die drei Kreise der Beeinflussbarkeit. 

Der innere Kreis: Hier liegt Dein uneingeschränkter Einflussbereich. Du hast volle Kontrolle über das Geschehen. Beispiel: Du willst abnehmen, also stellst Du deine Ernährung um und treibst Sport. Du nimmst direkten Einfluss auf das Geschehen und das wird Wirkung zeigen.

Fertig! Schon hast Du die Prioritäten für Dich gesetzt. Klingt leicht ist es aber, aus meiner jahrelangen Erfahrung als Coach, nicht. Zu sehr drängen sich die anderen Kreise auf: 

Der mittlere Kreis: Das ist Dein eingeschränkter Wirkbereich. Du kannst zwar noch begrenzt Einfluss nehmen, doch das Ergebnis nicht zu 100% steuern. Das sind zum Beispiel die Maßnahmen um die Motivation bei den Mitarbeitern zu steigern. Du kannst sie initiieren aber ob die Motivation dadurch wächst ist noch unsicher. 

Der äußere Kreis (oder wie ich ihn nenne: Den Kreis von Don Quijote): Du hast keinen Einfluss auf das Geschehen, keine Wirkmöglichkeiten. Du kannst das Gegebene nur akzeptieren und wenn nötig, Deine innere Einstellung zu dem Sachverhalt ändern. Das ist aber fataler Weise der Bereich, über den in den meisten Besprechungen zum Thema Fachkräftemangel, am häufigsten diskutiert wird. Nach dem Motto "Wir müssen die Attraktivität des Berufsstandes im Handwerk verbessern". Darauf hast Du im Vergleich zu anderen Maßnahmen nur eine verschwindend geringe Einflussmöglichkeit. 

Also: Wende Dich von den Bereichen ab in denen Du nichts ändern kannst.

Fokussiere Dich stattdessen auf das, was Du aktiv tun kannst.
Geh in Deinen Wirkbereich, denke lösungsorientiert.

Mögliche Einflussbereiche, die Wirkung zeigen

Onboarding neuer Mitarbeiter

Wo Du beispielsweise uneingeschränkt Einfluss nehmen kannst ist, wie neue Mitarbeiter in Deinem Unternehmen empfangen -und in ihre Arbeit eingewiesen werden. Nur sehr, sehr wenige Firmen haben hierfür wirklich einen Einarbeitungsplan. Häufig bekommen die neuen Mitarbeiter eine kurze Führung, den Schlüssel für ihr Auto und den ersten Projektauftrag. Kein Wunder, dass sie ihren alten Kollegen nicht vorschwärmen wie toll es bei Dir ist (und ihnen nahe legen auch zu wechseln). Noch schlimmer: Noch während der Probezeit verlassen sie das Unternehmen aus verschiedenen, vorgeschobenen Gründen. 

Gestalte den Prozess so, dass von Anfang an sichergestellt ist, dass Dein neuer Mitarbeiter sich schnell in das Unternehmen einarbeiten kann. Solche Einarbeitungspläne entwickeln wir im Coaching regelmäßig und sie zeigen Wirkung. Übrigens: Wer keinen Einarbeitungsplan hat, der hat vermutlich auch seine anderen Prozesse im Unternehmen noch nicht transparent genug erklärt und wundert sich in der Regel darüber, dass sie nicht eingehalten werden. 

Potenzial ausschöpfen

Ändere Deine Fragestellungen von: “Wie finde ich Fachkräfte?” zu etwas, worauf Du Einfluss hast, wie zum Beispiel 

“Wie mache ich mich unangreifbar und nutze das aktuelle Potenzial meiner MitarbeiterInnen optimal?” 

oder

“Wie werde ich so attraktiv und sichtbar als Arbeitgeber, dass die Leute von selbst zu mir kommen?”

Vorbild sein - man arbeitet gerne bei Gewinnern

Stelle sicher, dass Du selbst alles umsetzt, was Du von Deinen MitarbeiterInnen verlangst. Wenn Du etwas aussprichst, dann lass auch die entsprechenden Taten folgen! Nichts ist schlimmer als ein Chef, den niemand mehr ernst nehmen kann.

Als Beispiel: Du erwartest von Deinen Mitarbeitern mehr Ordnung und Struktur im Arbeitsalltag, zum Beispiel durch die Pflege einer digitalen Baumappe. Dein Schreibtisch sieht aber aus, wie nach einem Saufgelage. Wie motiviert wärst Du als Mitarbeiter für mehr Ordnung und Struktur zu sorgen?

Digital organisierte Prozesse 

Stelle sicher, dass Daten und Informationen niemals nur bei einer Person liegen. Sorge für eine Dokumentation aller Prozesse. Die Zusammenarbeit wird besser, neue Mitarbeiter können schneller aktiv werden und Du erlebst keine böse Überraschung, wenn ein Mitarbeiter mal plötzlich das Unternehmen verlässt.

Stelle Verbindlichkeiten her

Definiere Grenzen, Regeln und Prozesse klar, mach sie kontrollierbar und fordere sie auch ein. Sie sollten natürlich jederzeit für jeden zugänglich und verständlich sein.

Ein gutes Beispiel für einen sich selbst kontrollierenden Prozess:
Eine Checkliste für die digitale Bauakte.

Im Moment setzen wir mit einigen Unternehmern interne Wissensdatenbanken um. Kurz gesagt, handelt es sich hierbei um Videos die in verständlicher Weise erklären, was wir von den Mitarbeitern erwarten. Keine langen Texte, sondern z.B. Aufnahmen von einem Fahrzeug wie es idealerweise gepflegt und bestückt aussehen soll oder die Abläufe zum Einreichen von Tagesberichten werden als Bildschirmaufnahmen auf dem Tablet gezeigt. Das ganze wird in einem Portal für jeden (auch nicht digital affinen) Mitarbeiter präsentiert. Vorteil: Wir können sogar kontrollieren, ob die Videos und wie sie lange angeschaut wurden. Eine sich erwiesene, sehr effektive Möglichkeit.

Sei Konsequent

Ergreife Maßnahmen und Konsequenzen wenn sie notwendig sind. Nimm als Beispiel einen Mitarbeiter der toxische Auswirkungen auf Dein Team hat. Das kann bedeuten, als letzte Instanz, externe Hilfe wie etwa einen Coach anzufordern oder schlussendlich die Entlassung der betreffenden Person. Auch, wenn das unangenehm sein mag, ist es oft förderlich für alle Beteiligten.

Suche die richtigen Aufträge

Das richtige Zeit- und Ressourcenmanagement ist für den Erfolg Deines Unternehmens ausschlaggebend. Die Umsetzung vieler langfristig förderlichen Maßnahmen braucht Zeit. Frage Dich: Muss ich wirklich jeden Auftrag annehmen? Die meisten Handwerksbetriebe genießen erfahrungsgemäß einen Nachfrageüberhang und können sich die Aufträge aussuchen, die wirklich zu ihren Stärken und Kapazitäten passen.

Bist Du dir über die Kernkompetenz Deines Betriebs bewusst, hilft das auch bei der gezielten Auftrags- und Mitarbeiterwahl. Das ist der Job des Unternehmers der Zukunft: Nach den Aufträgen suchen, die allen Spaß machen und Geld abwerfen.

Geld darf nicht alles sein

Versetze Dich in Deine Mitarbeiter hinein: Ist eine Gehaltserhöhung alles, was du ihnen als motivierenden Anreiz bieten kannst? Wenn das die einzigen Anreize sind, die Deine Mitarbeiter motivieren - dann hast Du mein Mitleid. Suche aktiv nach Mitarbeitern, die Wert auf Weiterbildungs- bzw. Karrieremöglichkeiten und ein gutes Betriebsklima legen.

Ausschlaggebend sind hier der Zusammenhalt, gegenseitiges Verständnis und Support . Mach Deinen Mitarbeitern klar, was es beispielsweise für die im Büro bedeutet, wenn bei der Baudokumentation gepfuscht wird und was es für diejenigen auf der Baustelle bedeutet, wenn Bestellungen schlampig gemacht werden. Ein starker Teamgeist motiviert ungemein.

Und zu guter Letzt: Hör nicht auf, nach Mitarbeitern zu suchen!

Das ist eine der Kernaufgaben eines jeden Unternehmers. Hast Du regelmäßig Leute im Haus zum Bewerbungsgespräch, signalisiert das Progression und dass jeder im Unternehmen ersetzbar ist. Wir erleben derzeit in dem Finden von Mitarbeitern einen Wandel: Weg von den (leider nur noch bei wenigen) funktionierenden, lauten Kampagnen hin zu den langfristig wirksamen Strategien, die auf permanente Sichtbarkeit und Werbung setzen. Mehr zu dem Thema "was funktioniert derzeit in der Mitarbeitergewinnung im Handwerk" findest Du auf meinem Blog (www.handwerk.live/blog) oder in einer der Kolumnen in der SBZ. 

FAZIT: Werde als Unternehmer dort aktiv, wo Du Einfluss und Kontrolle hast, anstatt zu jammern

Mach Dich unangreifbar, schaffe klare Prozesse und fordere konsequent die Einhaltung. Denke proaktiv in die Zukunft und schaffe Dir dafür notwendigen Kapazitäten - das ist eine deiner wichtigsten Aufgaben als Unternehmer.

Wenn Du noch mehr Anregungen brauchst die zu Deiner Unternehmenssituation passen, dann melde Dich gerne bei mir. Mein Job ist es, mit Dir nach den Einflussmöglichkeiten zu suchen, die die größte Hebelwirkung versprechen. 

Nachtrag: Da bereits Anfragen zu diesem Beitrag kamen: Ja, diesen Vortrag halte ich auch sehr, sehr gerne bei Veranstaltungen von Handwerkern - dann gibt es noch mehr praktische Tipps für die Umsetzung. Buchungsanfragen einfach per Mail an mich. 

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